Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg! (Lao-tse)

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"NUR WER SEIN ZIEL KENNT, FINDET DEN WEG!" (Lao-tse)


EINE WALLFAHRT AUF DEN KOLOMANNSBERG; von Klaus Pöckl-Achleitner:



-I-
Alle Jahre am ersten Freitag nach Pfingsten pilgern die Einwohner des kleinen Dorfes Zell am Moos – zumindest einige wenige davon – auf den nahen Kolomannsberg, um für eine gute Ernte und die Abwendung von Schäden an ihrem Hab und Gut zu beten. Was ursprünglich als reine Pilgerreise der ortsansässigen Bauern begann, zog bald auch Bürgerliche und Tagestouristen an. Seit dem berühmten Reisebericht von Paulo Coelho über seinen langen Pilgerweg nach Santiago de Compostela ist das Wallfahren sehr populär geworden, es gehört sozusagen auch bei betont religiös-distanzierten Leuten zum guten Ton, mal irgendwo hin gepilgert zu sein. Und da es nicht jeder nach Santiago de Compostela schafft – aus welchen Gründen auch immer – kann man auch eine „Wallfahrt light“ machen. Eben zum Beispiel auf den Kolomannsberg, dem Hausberg der Zeller. Der langgestreckte und dicht bewaldete Bergrücken ist jedem Einwohner von Kindesbeinen an geläufig, kann man doch nicht an ihm vorbeiblicken. Im Sommer geht die Sonne ganz malerisch über dem kleinen Bergweiler Sommerholz unter. Wenn man richtig steht, dann teilt der Kirchturm die Sonnenscheibe. Ein wahrhaft göttlicher Anblick. Im Westen nichts neues trifft auf das Wetter nicht zu, den dieses kommt zumeist aus dieser Richtung. Und der Berg liegt als Barriere quer vor dem Irrsee und dem Dorf und schützt es vor dem größten Unbill. Zumindest behaupten das viele. Dieser malerische Berg, für manche nur ein Hügel, ist das geografische Ziel unserer Reise. Das spirituelle Ziel ist da viel individueller. Der eine findet es auf dem Gipfel eines Berges, der andere in der Tiefe des Meeres. So mancher findet es beim Entspannen in der Hängematte oder auch nie. Es sucht freilich auch nicht jeder danach.


„Es gibt vielerlei Lärm, aber nur eine Stille.“ (Kurt Tucholsky)

-II-

Ich bin selbst vor einigen Jahren das erste Mal mitgegangen. Nicht so sehr aus religiöser Überzeugung, als vielmehr aus Interesse und Neugier. Soweit ich mich entsinnen kann, war ich einmal in meiner Kindheit auf dem K-Berg gewesen. Lange her. Ich wollte einfach mal wieder rauf, mir die beiden Radarkugeln des Bundesheeres aus der Nähe anschauen. Aber auch sportliche Motive spielten eine Rolle. Im Laufe dieser meiner ersten Wallfahrt habe ich jedoch auch den spirituellen Charakter für mich entdeckt. Ich bin nicht übertrieben religiös und langweile mich eher beim gemeinsamen Beten. Lieber führe ich ein persönliches Zwiegespräch mit Gott. Doch eine Pilgerfahrt ist etwas Besonderes. Man geht in der Gruppe, hat ein gemeinsames Ziel und das Singsang des Rosenkranzbetens hat durchaus etwas Meditatives. Dazu kommt das unmittelbare Erleben der Natur, dass man gerade im Frühling intensiv spürt. So mancher Bewegungsmuffel stößt auch an seine Grenzen, nur um zu entdecken, dass man sie hinausschieben kann. Kurz gesagt, man fühlt sich gut. In meinem speziellen Fall kommt noch der Stolz hinzu, den inneren Schweinehund geschlagen und so früh am Morgen aufgestanden zu sein. Und seither gehe ich im Zwei-Jahres-Rhythmus auf den 1111 m hohen Hausberg der Zell am Mooser. Wo ich es schon erwähne: die größte Hürde für mich als bekennenden Langschläfer (obwohl ich mittlerweile mit sechs Stunden Schlaf auskomme) und Morgenmuffel ist das Aufstehen um 5 Uhr morgens. Es ist hart, aus dem warmen Bett zu kriechen, besonders wenn es draußen regnet. Doch hat man es geschafft, dann kann man die schönen Seiten des frühen Morgens geniessen: den Sonnenaufgang, das Zwitschern der Vögel und der frische, regenschwere Duft. Ein kurzes Frühstück, während dem ich meine sieben Sachen zusammensuche, rein ins Auto und hin zum Dorfplatz. Denn pünktlich um 5.30 Uhr ist Abmarsch. Die Gruppe besteht diesmal aus 27 Menschen, Männer und Frauen, Junge und Alte, Pensionisten und Berufstätige, mehr oder weniger Gläubige. Nur die ganz Jungen unter 25 fehlen völlig. Die haben noch anderes im Sinn, das meditative Element ist in ihrem Leben zumeist noch nicht angekommen. Man begrüßt sich, man kennt einander. Die meisten Gesichter habe ich schon öfters bei dieser Pilgerfahrt gesehen. Alles schart sich an diesem kühlen und regnerischen Morgen um die Dorflinde. Der Wetterbericht gelobte gestern abend aber Besserung, und er sollte recht behalten.


„Der ewige Jammer mit den Weltverbesserern ist, dass sie nie bei sich selber anfangen.“ (Thornton Wilder)

-III-

Forsch geht es los mit dem Kreuz voran. Gleich hinter dem Kreuzträger die beiden Vorbeter, dann der Rest der Pilgerschar. Über den Kirchenplatz und die Koller-Allee schnurstracks zum Geh- und Radweg entlang der Bundesstraße. Schon um diese frühe Zeit ist der Verkehr stark. Vor allem die zahlreichen Lastwägen erzeugen einen Lärmpegel, dass die Hinteren die Vorbeter nicht mehr verstehen. Den Kampf gegen diese Plage haben sich die Bürgermeister der Anrainergemeinden Oberhofen, Tiefgraben und Zell am Moos auf ihre Fahne geheftet, seit vor einem halben Jahr die Bundesstraße 1 bei Frankenmarkt für den Schwerverkehr gesperrt wurde. Seither rollt die Verkehrslawine über die B 154 von Straßwalchen und die Vöcklatalstraße durch die Haslau zum Autobahnzubringer Mondsee. Was das heisst, kann nur ermessen, wer direkt neben der Straße wohnt oder daneben hergeht. Beim Beten verfalle ich leicht ins Philosophieren. Das Rosenkranzbeten geht so nebenbei, es verbraucht nicht alle Ressourcen des Gehirns. Und so hänge ich meinen Gedanken nach. Zum Beispiel zum Thema „Globalisierung“: Warum müssen Tiere quer durch Europa von Punkt A (Aufzucht) zu Punkt B (Schlachten) und weiter zu Punkt C (Weiterverarbeitung) schließlich zu Punkt D (Großhandelskette) gebracht werden. Von dort erfolgt dann die Verteilung des Fleisches auf die Einzelmärkte. Die Ware ist ständig irgendwo auf der Straße unterwegs, der Verkehr stockt, es staut. Jede Teuerung bei den Spritpreisen schlägt direkt auf die Endverbraucherpreise durch. Warum kann Fleisch nicht einfach, so wie früher, regional erzeugt, verarbeitet und verkauft werden? Fragen, die die Multis bewusst nicht stellen, wollen sie sich doch ihr Geschäft nicht verderben lassen. Aber als Konsument kann man nur den Kopf beideln. Und da bin ich schon bei den Spritpreisen angelangt. Dieser richtet sich nach den Rohstoffpreisen in Rotterdam oder wo auch immer, wird uns von den Mineralölfirmen gesagt. Steigt der Rohstoffpreis, steigen die Spritpreise an der Tankstelle. Fällt der Rohstoffpreis, bleiben die Spritpreise zunächst einmal unverändert, ehe sie nach Tagen – vielleicht – einmal ein bisschen sinken. Manche Firmen ändern ihre Preis bis zu sechsmal am Tag (!), wohl um den Vergleich zu erschweren. Und Vater Staat? Der sagt nicht viel dazu, reibt sich aber die Hände, denn die Einkünfte aus der Mineralölsteuer sprudeln kräftiger als die Ölhähne der Scheichs. Man betet uns mündigen Konsumenten den freien Markt vor, doch in diesem Bereich funktioniert er ganz einfach nicht. Noch ein Beispiel? Der Markt für neue Ölheizungen ist in Österreich, wahrscheinlich in ganz Europa, zusammengebrochen. Ist ja auch kein Wunder. Viele tauschen ihre Ölbrenner aus, sanieren und dämmen ihre Häusern. Der Heizölverbrauch muss daher hierzulande und in Europa deutlich zurück gegangen sein. Nach den Gesetzen des Marktes müsste bei sinkender Nachfrage auch der Preis sinken. Tut er aber nicht. Natürlich kann man einwenden, global steige der Ölverbrauch. Geheuer ist mir das ganze trotzdem nicht. Und wer sich wundert, dass ausgerechnet Diesel so enorm angezogen hat und schon mehr kostet als Benzin, dem sei gesagt. In Österreich beträgt der Anteil der Diesel-PKW rund 60 % - so hoch wie in keinem anderen europäischen Land. Alles klar? Aber teurer Sprit hin und Ärger her, ein Umdenken bei den Verbrauchern findet erst ganz allmählich statt. Bislang konnte ich nicht feststellen, dass sich die Autofahrer in größerem Stil bei Freizeit- und Hobbyfahrten einschränken. Immer noch rollen Stadtbewohner lieber auf den eigenen vier Reifen zum Job innerhalb der Stadtgrenzen, obwohl es mit dem Bus oder dem Rad billiger und bequemer und schneller ginge. Fahrgemeinschaften sind meist Fehlanzeige. Ja, wir werden noch viel bluten und uns ärgern müssen, ehe wir es in die Köpfe kriegen.


„Nicht der Berg ist es, den man bezwingt, sondern das eigene ICH.“ (Sir Edmund Hillary, Erstbesteiger des Mt. Everest)

-IV-
Das Tempo ist beachtlich, in Kasten geht es rechts ab auf den Güterweg, weg von der Bundesstraße und meinen marktwirtschaftlichen Gedanken zum Öl. Über die Zellerache und einen kleinen Hügel hinauf marschieren wir, immer dem Kolomannsberg zu, dessen beide äußerst weltliche Kugeln sich deutlich vom Horizont abheben. Ein Weiler, ein paar Kreuzungen und wir haben den Fuß des Berges erreicht. Am Waldrand wird die Beterei eingestellt, den bergwärts braucht jeder seinen Atem zum Gehen. Und der Rosenkranz ist ohnehin vollbracht. Eine gute Dreiviertelstunde sind wir bereits unterwegs. Wir folgen einem Pfad durch den Wald, bis wir den Güterweg zum Hochserner erreichen, auf den wir einbiegen. Die Gruppe, die im Flachland kompakt und betend daher kam, zieht sich nun in die Länge. Es bilden sich Grüppchen, die sich gemütlich unterhalten, ohne freilich das Tempo zu verringern. Bald leuchtet sattes Grün durch die Bäume, der Hochsernerwirt ist nicht mehr weit. Die Neulinge freuen sich allerdings zu früh, den Einkehr ist hier erst am Rückweg. Eine Stunde und damit die Hälfte der Wegzeit ist geschafft. Ich zeige kaum Ermüdungserscheinungen, fühle mich fit, unterhalte mich mal mit jenem und mal mit einer anderen. Ich bewege mich im vorderen Drittel der Gruppe.


„Die ganze Natur ist eine Melodie, in der eine tiefe Harmonie verborgen ist.“ (J.W. von Goethe)

-V-
Vorbei am Hochserner und zwei Wohnhäusern, von denen das neuere wie eine neuzeitliche ägyptische Pyramide aussieht, in grellem Weiss bemalt, damit man es ja im ganzen MondseeLand sehen kann, geht es wieder dem Wald zu. Zur rechten kann man einen traumhaften Ausblick auf den Irrsee, das Dorf Zell am Moos und in weiterer Folge auf die Berg- und Hügellandschaft des MondseeLandes und des Mondsees selber genießen. Die ganze unwirklich schöne Szenerie ist in frisches Morgenlicht getaucht, die Regenwolken haben sich zurückgezogen und die Sonnenstrahlen blinzeln hervor. Es sind diese Momente, für die es sich lohnt, so früh aufzustehen. In solchen Momenten vergisst man so banale Fragen, wie etwa: Stimmt es, dass Paris Hilton mit einem frischen Pickel auf der Nase von Paparazzi fotografiert wurde? Oder warum liegt ein Handy-Klingelton namens „Schnuffel“ (!) seit Wochen auf Platz 1 sämtlicher Hitparaden? Und wieso haben Männer Brustwarzen?


„Bäume und Entscheidungen sind wesentlich leichter zu fällen als zu tragen.“ (unbekannt)

-VI-
Bald haben wir wieder den Wald erreicht. Vorbei am Abenteuerspielplatz, der vor einigen Jahren in Privatinitiative für die Touristen geschaffen wurde, geht es weiter bergwärts. Eine sehr schöne Sache, dieser Spielplatz, mit Sandmine, Goldwäscherplatz im Bach, Indianer-Tipi und Lagerfeuer. Ein Paradies für die Kleinen. Besonders erfreulich finde ich, dass das Ganze von privater Hand organisiert wurde. Anderswo ist die Einstellung zum Tourismus, der eigentlich ein wichtiges Standbein der ganzen Region ist, leider etwas konträr. Da raufen sich Förster, Jäger und Radler um die Benutzung von Forststraßen, obwohl der Wald das größte und schönste Freizeitparadies ist. Da sperren Grundbesitzer Wanderwege ab, weil ein Wanderer vielleicht einen Blick zuviel in seinen Stall riskieren könnte. Und die Landschaft wird mit Verbots- und Gebotstafeln zugepflastert. Trotzdem kommen die Touristen, angelockt von der Schönheit und Intaktheit der Gegend. Anderswo gibt es ja schließlich auch Probleme und der Irrsee ist wenigstens nicht von einer Algenpest befallen. Wir überqueren Forststraßen, umgehen umgestürzte Baumstämme und sumpfige Stellen und streben weiter dem Gipfel zu. Der Kolomannsberg, oder K-Berg, wie ich ihn in Kurzform nenne (was natürlich kein offizieller Name ist!), ist wie gesagt ein langgestreckter Bergzug westlich des Irrsees. Er erreicht eine Höhe von 1.111 m und trennt dabei die Bundesländer Salzburg und Oberösterreich, sowie den Flachgau vom MondseeLand. Für Zell am Moos stellt er eine natürliche Sicherheitsbarriere dar. Ältere Bauern im Ort behaupten immer wieder, dass früher, als der Gipfel kahl war, viel schlimmere Unwetter wüteten. Ob es nun mit den Bäumen zusammenhängt oder nicht ist letztlich – wie so vieles – eine Glaubensfrage. Der Gipfel ist heute dicht bewaldet. Bei einem Freund von mir hängt ein Bild im Wohnzimmer, dass das Gipfelplateau unbewaldet zeigt, ich glaube, aus dem Jahre 1927. Damals konnte man das Kirchlein deutlich von Zell am Moos aus sehen. Dafür fehlten die dominierenden Kugeln der Radarüberwachung.


„Der Wald ist ein besonderes Wesen von uneingeschränkter Güte und Zuneigung, das keine Forderungen stellt und großzügig die Erzeugnisse seines Lebenswerkes weitergibt. Allen Geschöpfen bietet er Schutz und spendet Schatten, selbst dem Holzfäller, der ihn zerstört.“ (Buddha)

-VII-
Eine Straße führt westwärts von Thalgau kommend über Thalgauberg hinauf. Viele Pilger wählen diesen bequemen Weg und kommen motorisiert. Auch der Herr Pfarrer. Jeder wie er will und wie er kann. An des K-Berges östlicher Flanke, auf einem kleinen, steilen Hügel, stehen die Überreste der einstmals mächtigen Burg Wildenegg. Drohend beherrschte die Festung die Region, ehe man die Verwaltung nach Mondsee verlegte und das Gemäuer dem Verfall preisgab. Die zuvor geknechteten Bauern holten sich Stück für Stück Steine und anderes Material zurück und verwendeten es für ihre Häuser und Stallungen. Ein gerechtes Geschäft, hat doch die Landbevölkerung beim Bau der Burg mithelfen und ihren Obulus dafür leisten müssen. Heute ist nur mehr ein kümmerlicher Mauerrest übrig. Die Grundfesten sind noch zu erahnen. Das ganze Areal ist dicht mit Bäumen und Büschen überwuchert. Vor einigen Jahren hat der Tourismusverband Oberhofen den Zugang zur Anlage freigelegt, eine Info-Tafel mit Text und einer Malerei aufgestellt und Bänke dazu. Eine gute Aktion, wiewohl man heute nicht weiss, wie die Burg einst wirklich ausgesehen hat. Man kann aber annehmen, dass die Burgherren jedenfalls den Ausblick auf das Irrseebecken genossen haben. Ein Ausblick auf ein MondseeLand fast ohne Straßen, mit winzigen Dörfern, vereinzelten Bauerngehöften und sehr viel mehr Wald und Sumpf als heute. Romantikern sei gleich nachgeschickt, dass sie sich diese Zeit nicht zurückwünschen müssen. Das Mittelalter war finster, unaufgeklärt, die Lebenserwartung niedrig, die Plackerei (zumindest für 90 % der Bevölkerung) mühsam. Individualismus war beim einfachen Landmann etwas völlig Unbekanntes und Pilgerreisen konnten nur Adelige, Priester und Aussteiger unternehmen. Da haben wir es heute besser.


„Was uns an der sichtbaren Schönheit entzückt, ist ewig nur die unsichtbare Schönheit!“ (Marie von Ebner-Eschenbach)

-VIII-
Die Topografie des K-Berges hat die unangenehme Eigenschaft, dass man kurz vor dem finalen Gipfelsieg noch mal in ein kleines Tal hinabsteigen muss. Das ist hart, wenn man sich schon fast am Ziel wähnt. Erst nach diesem Bergabstück ist ein letztes Steilstück zu bewältigen. Knapp unterhalb des Gipfels, schon in Sichtweite der Kirche und der einen Radarkugel liegt das Kolomannsbründl. Die Legende vom Heiligen Kolomann weiss folgendes zu berichten: Zitat Anfang: „Bei Zell am Moos liegt über dem Irrsee der Kolomannsberg. Auf seiner Kuppe steht ein altes Holzkirchlein, das dem heiligen Koloman geweiht ist. Ein Glöcklein hängt im Turme, das von jedem Besteiger des Berges geläutet werden kann, wenn er sein Ziel erreicht hat. Unweit des Kirchleins sprudelt eine Quelle aus dem Felsen, die vorzügliches, kaltes Wasser spendet. Die Legende erzählt, dass auf der Höhe des Berges einst der irische Prinz Koloman auf seiner Pilgerreise ins Heilige Land Rast gehalten und eine zeitlang oben geweilt habe. Da brachten ihm die Vögel des Waldes süße Beeren zur Nahrung. Auch die sonst so scheuen Rehe wurden zutraulich zu dem Heiligen und führten ihn zu einer Waldblöße, wo er genießbare Pilze und nahrhafte, eßbare Wurzeln fand. So verbrachte er als Einsiedler eine Zeit auf dem Kolomannsberg. Als er einmal Gott um Wasser anflehte, um seinen Durst zu stillen, da sprudelte plötzlich eine Quelle aus dem Berg heraus. Er dankte Gott für die Gewährung seiner Bitte und segnete den frischen Quell und das Wasser wurde heilkräftig. Es brachte Augenkranken Linderung. Darum wäscht jeder Wanderer, der zu dieser Quelle kommt, Augen, Hände und Glieder mit dem gesegneten Wasser, uns so wirkt der Kolomansbrunnen heilend bis in unsere Zeit.“ Zitat Ende.


„Viele studieren, wie man das Leben verlängern kann. Dabei müsste man es doch vertiefen.“ (Luciano de Crescenzo)

-IX-


Bis zu diesem legendären Brunnen sind es genau zwei Stunden Gehzeit. Die meisten waschen sich den Schweiss aus dem Gesicht, benetzen die Haut und die Augen. Wenn es nichts hilft, so schadet es auch nicht. Der Brunnen an sich hat mich beim ersten Besuch ziemlich enttäuscht. Ein Betonklotz mitten im Wald, aus dessen Seite ein Wasserhahn ragt. Das Wasser plätschert in einen ausgehöhlten Holzstamm. Wie dem auch sei, die Pilger sammeln sich um den Brunnen, so mancher zieht die verschwitzten Sachen aus und frische an. Auch ich wechsle mein T-Shirt. Seit meinem ersten Pilgergang hier herauf weiss ich, dass es in der Kirche sehr kalt ist und einen in den schweissnassen Sachen friert. So mancher hat sich schon eine Erkältung geholt, was ja eigentlich nicht Sinn des Pilgerns ist. Nachdem auch die Nachzügler eingetroffen sind, formiert sich die Gruppe neu und betend mit dem Kreuz voran gehen wir die letzten zweihundert Meter zum Gipfelplateau hinauf. Oben erwarten uns schon zahlreiche Pilger und auch der hochwürdige Herr Pfarrer aus Mondsee, ein junger sympathischer Mann. Feierlich ziehen alle in die Kirche ein und pünktlich um 8 Uhr beginnt der Gottesdienst.


„Nenne Dich nicht arm, weil Deine Träume nicht in Erfüllung gegangen sind; wirklich arm ist nur, der nie geträumt hat.“ (Marie von Ebner-Eschenbach)

-X-
Die Kirche ist eine Sehenswürdigkeit, völlig anders, als man sich ein Gotteshaus gemeinhin vorstellt. Völlig aus Holz gebaut und nach den Angaben des Tourismusprospekts die älteste Holzkirche Österreichs aus dem Jahre 1744. Wenn man so davor steht, glaubt man gerne, dass sich das Aussehen der Kirche seither nicht maßgeblich verändert hat, wiewohl sie den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts generalsaniert wurde. Sie hat einen rechteckigen Grundriss mit dem Hauptportal stirnseitig nach Norden, den Radarkugeln zu. Das Türmchen wirkt im Vergleich zum Baukörper geradezu mickrig. Dach und Seitenwände bestehen aus Holzschindeln. Es gibt im Innenraum sogar eine kleine Empore und linker Hand eine Kanzel, die jedoch nicht mehr benutzt wird. Im Jahre des Herrn 1462 wird der Kolomannsbrunnen in einer Grenzbeschreibung erstmals erwähnt. 1511 beanspruchte der Pfarrherr von Thalgau die Kapelle für seinen Pfarrbereich. Aus dem folgenden Rechtsstreit geht hervor, dass ursprünglich nur ein Kreuz beim Brunnen stand und später ohne Wissen des damaligen Abtes eine hölzerne Kapelle errichtet worden war. Kapelle und Brunnen wurden Mondsee zugesprochen. 1658 wurde die Kapelle erneuert, 1692 wurde der Altar vom Bildhauer Meinrad Guggenbichler, der im MondseeLand sehr geschätzt wird, und vom Tischler Mayr restauriert. Bemerkenswert ist, dass neben dem Künstler auch der einfache Tischler Mayr mit Namen erwähnt wird. 1744 wurde, wie schon erwähnt, die heutige Kapelle am jetztigen Standort errichtet. Vorn im Gotteshaus steht ein mächtiger Altar, vor dem sich der Pfarrer aufgebaut hat. Der Mann versteht sein Fach. Der Gottesdienst dauert nicht länger als nötig und es ist eine Freude, dem Gottesmann bei seiner Predigt, den Ansprachen und den Gesängen zuzuhören. Eine schöne, klare, leicht verständliche Stimme. Der Mann ist am rechten Platz.


„Alles Große in der Welt wird nur dadurch Wirklichkeit, dass irgendwer mehr tut, als er müsste.“ (Hermann Gmeiner, Gründer der SOS-Kinderdörfer)

-XI-

Nach dem Gottesdienst versammelt sich die Gemeinde auf dem Vorplatz, wo gejausnet und geschwätzt wird. Manche halten innere Andacht, andere steigen bereits wieder in ihre Fahrzeuge. Ich gehe zu einer Lichtung, die wohl der Sturm geschlagen hat. Dort befindet sich ein einfaches Grab mit einem Stahlhelm auf einem Holzkreuz. Es soll wohl am Rande des militärischen Sperrgebiets den unbekannten Soldaten ehren. Ein Stück vor mir erheben sich die beiden Radarkugeln, die ältere näher, die neuere ein bisschen abgesetzt nach hinten. Aus dieser kurzen Entfernung sieht man erst, wie riesig sie sind. Ein Stück die Straße hinauf beginnt der Zaun, der die ganze Anlage, die zum System „Goldhaube“ der Luftraumüberwachung des Bundesheeres gehört, abgrenzt. Ich wende mich wieder ab von dieser profanen militärischen Welt. Abseits der Gruppe habe ich die Muße für meine eigene innere Einkehr. Es ist still hier oben, abgesehen vom Zwitschern der Vögel, dem Knacken eines Astes im nahen Wald und den einzelnen Gesprächsfetzen, die von den Pilgern herüberdringen. Über den Bäumen hängen noch vereinzelte Nebelfetzen, die Luft ist frisch und gesättigt vom nächtlichen Regen. Und es beginnt immer mehr aufzuklaren. Ein schöner Heimweg steht uns bevor. Unsere Gruppe rüstet sich bereits – nicht zum Kampfe, sondern zum Abmarsch. Wir formieren uns wieder und betend geht es zum Bründl hinunter. Dort stoppt das Beten und wir verwandeln uns wieder in normale Wanderer. Talwärts geht es deutlich schneller, wenngleich die Wadeln schon knacken. Ich persönlich gehe lieber bergauf, es dauert zwar länger, ist aber angenehmer für die Beine. Aber wer raufgeht, muss auch wieder runtergehen, es sei denn, man hat einen Paragleiter dabei. Das ist aber bei niemandem der Fall, und so tragen uns unsere Füsse talwärts. In Kürze erreichen wir wieder den Hochserner und diesmal kann uns nichts von der Einkehr abhalten.


„Wer nur um Gewinn kämpft, erntet nichts, wofür es sich zu leben lohnt.“ (Antoine de Saint-Exupery)
-XII-

Das Wetter lässt es zu, dass wir uns auf die Terrasse setzen und den Ausblick genießen. Dieses einzigartige Panorama wirkt, obwohl schon oft gesehen, immer wieder. Der See mit dem am gegenüberliegenden Ufer gelegenen Dorf. Die Bundesstraße zieht sich als schmales Asphaltband entlang des Gewässers. Die darauf fahrenden Autos und Lastkraftwägen sind deutlich erkennbar. Sie erinnern mich ein bisschen an eine Ameisenstraße. Weil ich grade von einer Ameisenstraße rede, unlängst habe ich eine auf meinem Balkon entdeckt. Das emsige Ameisenvolk kam von irgendwo aus meinem Garten, kletterte die Wand hinauf, durch den Abstellraum und über den Balkon, vorbei an der Balkontür und dann die Wand entlang, wo die Straße irgendwo unter dem Dach endete. Was genau diese Insekten dort oben getrieben haben, kann ich nicht sagen. Meine Befürchtung, dass sie eine kleine Umfahrung durch meine Küche einrichten, hat sich aber glücklicherweise nicht bewahrheitet. Nach ein paar Wochen war der Spuk wieder vorbei und die Straße ist verwaist. Das lustige Völkchen wird sich wohl ein neues Ziel gesucht haben. Es war dennoch interessant, ihnen sozusagen aus der Vogelperspektive bei ihrem emsigen Treiben zuzusehen. Die Ameisen verkehrten in beiden Richtungen, ohne Staus, und umgingen geschickt Hindernisse. Tote Ameisen lagen ebenfalls am Weg, zurückgelassen von ihresgleichen. Das Individuum zählt nichts im Ameisenstaat, das Volk mit der Königin an der Spitze ist das Maß aller Dinge. Alles hat sich dem Staat unterzuordnen. Revolution? Aufbegehren? Demonstrationen? Fehlanzeige, jede Ameise weiss, was sie zu tun hat und kümmert sich um nichts anderes. Eigentlich eine perfekte Organisation und das von so kleinen Wesen mit winzigen Hirnen. Die Welt der Menschen ist da ungleich komplizierter. Wenn einer oder eine Gruppe versucht, die anderen zu dominieren und ihrem Willen zu unterwerfen, dann entsteht rasch eine Diktatur. Und diese Regierungsform hat es an sich, dass sie meist nicht von allzu langer Dauer sind. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Deutlich sieht man auch die Vöcklatalstraße, die bei Zell am Moos von der Bundesstraße abzweigt, sich den Hang hinaufwindet und dann durch eine Lücke im Sattel ins Tal von Haslau einbiegt. Eine Stunde, vielleicht auch länger sitzen und schwatzen wir. Den Abschluss bildet – und das hat durchaus Tradition – die Aufforderung vom Holzer Kolomann an alle Damen, sich ein Eis auf seine Kosten zu holen. Das tut er, seit sich die ältesten Pilger erinnern können und die Damen wissen es zu schätzen. Wohl kein Zufall, dass dieser Mann, der in Zell am Moos als Original gilt, den gleichen Namen wie der Berg trägt. Frisch gestärkt von der Jause sind wir rasch durch den Wald wieder am Fusse des Berges angelangt. Mit dem Rosenkranz beginnen wir diesmal früher, denn wir wollen bei Erreichen der Bundesstraße fertig sein. Der schnöde Straßenlärm stört einfach das Gebet. Auf dem gleichen Weg, jedoch gelöst und von läßlicheren Sünden befreit, geht es wieder zurück. Der Lärm entlang der Bundesstraße ist tatsächlich phasenweise so ohrenbetäubend, dass dort an Beten nicht zu denken ist. Erst beim Einbiegen in die Koller-Allee legen wir wieder los.

„Lerne von jedem der kommt, so erfreust Du jeden, der geht.“ (Johann Caspar Lavater)

-XIII-

Im Eiltempo geht es in die Schlussetappe. Die wenigsten von uns treibt die religiöse Inbrunst, bei den meisten ist es wohl einfach der Hunger und bei allen der Durst. Kein Wunder, neben der Pfarrkirche wartet ja schon der Kirchenwirt. Auf dem Weg durch die Koller-Allee überholt uns eine Fußgeherin, die einen sehenswerten Anblick liefert. Eine große blonde Frau mittleren Alters, in der linken Hand die Leinen von zwei Huskies, den Schlittenhunden, und in der rechten trägt sie ein kleines Schosshündchen, dass traurig auf uns Pilger blickt. Die Frau hat es eilig, sie würdigt uns keines Blickes und sie will rasch an der Pilgergruppe vorbei. Vielleicht plagt sie das schlechte Gewissen, vielleicht kocht das Essen auf dem Herd oder sie will einfach nichts mit uns zu tun haben. Wie dem auch sei, trotz größter Eile kommt sie nicht recht an uns vorbei. Sie geht zwar schneller, ja sie läuft fast, aber dann stoppen ihre Hunde sie wieder, indem sie einen Kastanienbaum „beehren“ oder sich gegenseitig beschnüffeln. Sie hat uns schon fast überholt, da fällt sie wieder zurück. Doch anstatt hinten zu bleiben, versucht sie es erneut. Das Rennen endet unentschieden, die Gruppen (Gruppe 1: Frau mit Hunden, Gruppe 2: Pilger) kommen im Paarlauf auf den Kirchenplatz. Erst dort trennt sie sich von uns. Sie strebt nach links der sehr weltlichen Bank zu, wir nach rechts zum geistlichen Kirchenportal. Bei der Dorflinde haben wir den Ausgangspunkt wieder erreicht – um Punkt 12.00 Uhr Mittag und nach gezählten (Schrittzähler an Bord) 22.600 Schritten. Es geht rein in die Kirche zum abschließenden Gebet. Danach widmen wir uns – jedenfalls die meisten – dem angenehmen Teil der Pilgerreise – dem Stillen von Hunger und Durst auf der Terrasse des Kirchenwirtes. Der Regen hat sich verzogen, die Sonne scheint, das Bier fließt. Ein wahrhaft würdiger Abschluss dieser Pilgerfahrt.

Gehe nicht hinter mir, ich führe nicht. 

Gehe nicht vor mir, ich folge nicht. 

Gehe einfach neben mir und sei mein Freund. 

Albert Camus

KLAUS PÖCKL-ACHLEITNER, Juni 2008